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»Zellulare Hybride«

Dr. Otto Rothfuss

Rede am 22. Juni 2007 (Städtische Galerie Böblingen)

Sabine K Brauns Urgrund und wichtigstes Medium ist das Papier, zunächst nur als Speicher für und Träger von Zeichnungen, die sich in der Retrospektive wie Pläne lesen lassen, dann als manipuliertes, kaschiertes Material.

Papier, wenn es vor uns liegt, ist ja Inbegriff der tabula rasa, seinem Wesen nach instabil, fragil, manchmal transparent, wandelbar ,- und doch überdauert es Jahrhunderte.

Ein Material- und Formenpool, der kosmischen Ursuppe vergleichbar, liegt hinter mir und lässt den strahlenden Aufgang der Plastiken erahnen.
Kristallisationen, Formkeime, Bozetti markieren den Weg. Sabine K Braun findet sich, und damit ihre Objekte, in einem Prozess der materialen Meditation und Setzung.

Die Künstlerin hebt ihr einfaches Material dialektisch auf, es verschwindet nach intensiver Bearbeitung in einen höheren Zustand und kehrt in diversen Entwicklungsstufen wieder als stabiles segmentiertes Linienbündel, als statisch belastbare Raumzelle.
Ihre in einem komplizierten Prozess manipulierten Papierstreifen entwickeln sich unerwartet weiter zu gedrehten Spiralen, wellenförmigen Teilsegmenten, Rasterarrangements in fluchtenden Perspektiven.

Der vielschichtige Begriff der Zelle lässt sich bei Sabine K Braun schon sehr früh im Entstehungsprozess ihrer Arbeiten verorten: aus dem Papier entstehen als erstes Zellformen, kleinste selbständige omnivalente Einheiten, Module, aus deren Addition Organismen, Organe oder technoide Mischwesen entstehen.
Immer wieder werden wir daran erinnert, dass wir in einer technisch definierten Welt leben, deren Blutkreislauf die Kommunikation ist, Rasterfelder, Kabelassoziationen, Teleskopbündel beziehen auch uns mit ein. Vilem Flussers Begriff greift:“ … wie die Gesellschaft durchsetzt ist, apparatemäßig.“ Nostra res agitur.
Der Mensch als Subjekt und Objekt steuernder Prozesse.

Das Faszinierende an Sabine K Brauns Arbeiten ist, dass sie Konzepte sind, die der Welt zugrunde liegen, Notate, also non-fiction.
Zugleich aber erhalten wir Vorstellungen von Dingen, die so in der Welt nicht vorkommen, die wir aber trotzdem verstehen können, fiction. Unsere Welt ist fragil, ihr ist das Medium der Fragilität angemessen.
Die Arbeiten oszillieren zwischen den Formen einer fiktiven Architektur, einer gegenwärtigen Technik und einem biomorphen Formecho, so dass wir den Begriff Hybride, also Mischwesen, assoziieren dürfen. Diese Welt ist formal inkongruent, ja bewusst fragmentarisch gehalten, manches ist noch auf einem Weg zu einem unbekannten Ziel. Kein Objekt steht auf einem Sockel, das ist ja auch metaphorisch bedeutsam, alles öffnet sich, bleibt in der Schwebe, kein fester Grund wird suggeriert. Die Gravitationskräfte beruhen auf der Gravitation der Kunst. Sabine K Braun erringt sich mit ihren unvergleichlichen Plastiken die völlige Freiheit des Raumes, sie verlässt gestalterisch mehr und mehr die Sicherheit des Konstruktiven, der Geometrie, abgesehen von den großzügigen Netzwerken der stabilisierenden Gitterflächen, ohne an Klarheit zu verlieren, und gibt sich den Wirbeln eines Universums hin, das vorher nur den Wellenschlag gekannt hatte. Öffnungen der modular verzweigten Kugelsysteme und Kugelwolken saugen uns an, Leitsysteme verleiten uns. Auf „bubbles“, den Blasen und Satteliten treiben wir. Die Makrofotografien im kleinen Raum in der Fortsetzung des großen, zeigen uns, wo wir hätten transluzent stranden können. Fotografie vervielfacht im wechselnden Licht Strukturverknüpfungen und Raumbezüge. Die Materialwahrnehmung wird verunsichert. Immer noch Papier oder schon Metall? Der rechte Raum ist dem Flügelschlag des Faltensensors vorbehalten und der Welt der Stäbchen und Monaden.

Wenn wir uns von der Nähe zu den Plastiken, die wir instinktiv suchen, wieder abstoßen, bemerken wir die sensible Raumbezogenheit der Gesamtinstallation, die Textur. Analogien zur Welt der zeitgenössischen Musik tun sich auf: ein starker Rhythmus bestimmt die Wahrnehmung, der nicht nur im Raum spürbar ist, sondern auch in den Kleinformen der Öffnungen, Gliederungen, Durchdringungen pulsiert. Der Raum wird transparent und weitet sich. Ein plastisches Gefühl teilt sich mit wie in den Stücken von John Cage. Ein Ton wird gesetzt, eine Pause schafft Raum für den nächsten, der nicht die erwartete Harmonie bringt, sondern eine Spannung, eine überraschende Setzung, die aber doch Kommunikation im plastischen System zulässt.
Ein innerer Raum in der Zeit ist so entstanden, der emotional aufgeladen ist.

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